Allgemeines Buch / Zeitung

Beim Arzt – mit Buch

Von Ärzten, Büchern, Manipulationen, Vorurteile

Heute Morgen war ich bei meinen Ärztinnen in St. Hubert. Es sind derer drei und je nachdem wie gerade Zeit ist, kann ich mich festlegen auf eine der Damen. Alternativ, wie heute morgen besuche ich einfach diejenige, bei der man am schnellsten drankommt. Es ist eine Gemeinschaftspraxis und ich fühle mich gut aufgehoben für alles „Normale“. Ansonsten gehe ich sehr gerne zu Herrn Harring in Kempen, der mein vollstes Vertrauen für alles hat, was mit Akupunktur, Massagen und tieferen Ursachen hat. Immerhin hat er meinen Tennisarm kuriert, der schon seit eineinhalb Jahren krank war.

Malcolm Gladwell

Ich hatte mir in Vorausschau des Szenarios im Wartezimmer bereits ein Buch mitgenommen. „Tipping Point“ von Malcolm Gladwell. Um das kurz einzuschieben: Blink!, vom gleichen Autor ist ein wahrer Kracher, während „Tipping Point“ sich kaum lesen lässt. Zu gedehnt und zu viele Zusammenfassungen/Wiederholungen ein und des gleichen Themas. Ich bin einer der auf den ersten 10 Seiten entscheidet ob ein Buch in meinen Händen überlebt und dieses wird es leider nicht. „Blink!“ hingegen ist das beste Psychologiebuch, was ich bislang lesen durfte. Es ist das beste Antimanipulationswerk was es gibt. Denn es erklärt wie der Mensch tickt, wie er aus dem Bauch entscheidet, welche Rolle Worte spielen und wie man von Vorurteilen verleitet wird. Aber jedem liegt etwas anderes in der Literatur. Dieses Buch ist eines der besten, die ich je gelesen habe und ich kann es von ganzem Herzen empfehlen. Nur leider habe ich das schon gelesen und irgendwie das falsche Buch mit in die Praxis genommen.

Vorurteile und Atmosphäre

Jedenfalls habe ich wie immer zuerst das getan, was ich bei Menschenansammlungen zuerst tue: ich habe mir die Menschen angesehen und habe mir meinen Stuhl sorgfältig ausgesucht. Dabei spielen wahrscheinlich ganz viele Vorurteile eine Rolle. Auch setzt man sich ja bei mehreren freien Stühlen nie gleich neben einen anderen Wartenden, sondern lässt was frei. Immerhin war was frei und ich studierte daraufhin die Atmosphäre.

Die Atmosphärewar wie immer in Deutschland: Irgendwas zwischen viel zu warm, Viren / Bakterien geladen und leise. Wie im Fahrstuhl, in der Kirche, im Krankenhaus, im Wartezimmer eben. Keiner traute sich zu reden. Selbst die Mutter mit dem 3 Monate alten Baby und der 17 Monate alten Tochter flüstert nur leise mit den beiden. Diese Stimmung wechselt erst als ich mich dann laut mit der Mutter über ihr bewundernswertes Familienmanagement unterhalte und nach Details der Krankheiten frage. Hiernach reden plötzlich einige miteinander die sowieso zusammen gehören. Als ich ungeniert weiter rede und auch laut rede, wird die Stimmung anders. Es wandelt sich von furchtsamer Wartezimmeratmosphäre in eine etwas lässigere Umgebung. Nein nicht gleich ein Marktplatz aber immerhin für deutsche Verhältnisse schon recht fortschrittlich. Interessant für den Autoren der beiden Bücher die ich gerade erwähnte. Es hat was mit „Tipping Point“ zu tun. Schade dass das Buch so dröge geschrieben ist, denn der Inhalt passt auf die Situation.

Weil er keine Mütze trug und Italien

Ein Junge hinten rechts im Raum weint. Irgendwie scheint keiner Anteil zu nehmen oder nicht reagieren zu wollen. Das erinnert wieder an das Buch, in dem eine Frau auf einer Straße ermordet wird, weil 38 Nachbarn keinen Handlungsbedarf sehen. Immerhin sind die Tränen echt und ich frage den Jungen was los sei. Sein Begleiter/Vater sagte mir dann ohne auf eine eventuelle Antwort des Jungen zu warten: Er hat eine Mittelohrentzündung weil er draußen keine Mütze tragen wollte. Mein Mitgefühl ändert sich nicht, denn ich weiß was das für Schmerzen sind und Jungen in dem Alter finden Mützen uncool. Außerdem ist fast die ganze Gesellschaft immer geleitet von Gedanken wie: was mag der wohl über mich denken.

Ohrenschmerzen

Im Grunde bin ich ebenfalls präventiv deshalb hier, denn ich bin erkältet und bekomme eben solche Ohrenprobleme auch sehr leicht. Allerdings trage ich Mütze oder Stirnband, weil es mir schon immer ziemlich egal war wie andere über mein Aussehen denken. Nach 70 Minuten wurde ich sehr gut und ausführlich beraten (15 Minuten lang, welcher Arzt nimmt sich sonst noch so viel Zeit?) und habe einiges Hintergrundwissen zum Thema Trommelfell sowie Rezepte zur Behandlung bekommen. Als ich ins Wartezimmer gehe, um mich zu verabschieden war die Stimmung gerade wieder auf dem Tiefpunkt angekommen. Wie schade für die vergebene Chance dachte ich. Immerhin sind wir nicht in Italien, da ist mehr Stimmung. Aber wer weiß was es alles Gutes hat. Nicht dass jemand meint ich wolle nach Italien auswandern und sich im Kommentarfeld mit mir anlegt…

Buchtitel: Der Tipping Point. Wie kleine Dinge Großes bewirken können. – Autor: Malcolm Gladwell – Verlag: Goldmann

Buchtitel: Blink! Die Macht des Moments – Autor: Malcolm Gladwell – Verlag: Campus Verlag

Beim Arzt - mit Buch
Blink!: Die Macht des Moments
  • Gladwell, Malcolm (Autor)

1 Kommentar zu “Beim Arzt – mit Buch

  1. nickelartist

    Wieder so eine tolle Beobachtung! Ja, wieso sind die Menschen im Wartezimmer immer so „verschlossen“? In der U-Bahn / S-Bahn / Tram etc… ist’s ja das selbe…
    Alle starren vor sich hin, niemand spricht miteinander.
    Schade eigentlich.

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