Während der Reparatur des Autos bin ich in der Krefelder Innenstadt in ein schönes Caf gegangen und habe mich für das Gourmet-Frühstück mit Orangensaft entschieden. Natürlich fängt der Morgen so viel schöner an und ich bin entspannt, denke für diese Stunde nicht an die Arbeit. Statt dessen hatte ich mir ein dickes Budobuch mitgenommen, in der Vorstellung etwas weiter zu lesen. Wer Budobücher liest, der weiß, daß man die meisten nur Häppchenweise verdauen kann und die Häppchen dann versucht zu begreifen. Diese Art von Büchern sind Anreger, Katalysatoren, keine Romane die man wegschlingen kann. Insofern war ich guter Hoffnung ein kleines Kapitel weiter zu kommen, denn das letzte Kapitel hatte ich verdaut.

Ich nehme es vorweg: ich kam nicht weiter mit dem Buch. Eine ältere Dame saß am Nebentisch und rauchte. Gleich spricht sie mich an, dachte ich bei mir und schien Ihr das Startzeichen zu geben. Ob ich ledig sei, fragte die Dame. Nein, konterte ich mit leichtem Grinsen und fragte mich gleichzeitig, ob ich inzwischen so alt aussehe, daß ich für die Altersgruppe meines Gegenübers in Frage komme. Ich sei glücklich verheiratet und warte nur darauf, daß der Wagen aus der Werkstatt käme. Die alte Dame sagte gleich etwas entschuldigendes wie „Ich wollte nicht anbändeln, aber ich dachte wenn Sie da so allein sitzen…“. Ihr Monolog war eröffnet. Ich nahm es gelassen, hatte ich doch schon vorher die Entscheidung getroffen, der Frau zuzuhören und vermutlich eine tolle Krankengeschichte zu hören. In den folgenden 20 Minuten hat mir die Dame, unterbrochen nur von kurzen Zwischenfragen meinerseits und vielen weiteren „sehr leichten“ Zigaretten, in komprimierter Art und Weise ihre Lebensgeschichte erzählt.

Der interessanteste Part war nicht ihr verstorbener Mann, den sie immer noch sehr liebte, auch nicht ihr Alter (87 Jahre), welches sie mir schon im zweiten Satz mitteilte als ob es für unsere Beziehung wichtig sei, sondern die Geschichte ihres Elternhauses und ihrer Schwester, die inzwischen selbst schon 80 Jahre alt ist. Ihre Schwester war eines von sechs weiteren Geschwistern und lebt jetzt in Württemberg. Ihr Haus liegt an einem Anhang, was ich mir mit 80 Jahren schon ganz schön schwierig vorstelle. Aber sogleich erzählt mir mein Gegenüber, daß ihre Schwester ja ein automatisches Tor habe und da sie selbstverständlich noch Auto fahre, käme sie da prima an ihr Haus ran.

Der interessanteste Part spielte im Krieg, als die Schwester im Alter von etwa 18 Jahren (ich lernte ich im Zwischensatz, daß man damals erst mit 21 Jahren volljährig war) einen netten Soldaten kennen lernte. Dieser wurde kurz nach dem Kennenlernen verwundet und obgleich die Mutter es streng verboten hatte, begleitete die Dame ihre Schwester zum Krankenhaus, um besagten Soldaten zu besuchen. Bevor sie den Mann besuchen dürfen, fragte der zuständige Arzt nach der Zugehörigkeit und trocken hat die Schwester geantwortet: ich heirate diesen Mann, wohlwissend daß sie ihn nur kurz kannte und keinerlei Heiratsantrag erhalten hatte. Der Arzt nahm die Dame beiseite und fragte wer sie sei, woraufhin diese ihm erklärte die ältere Schwester zu sein. Das mit der Hochzeit solle sich die jüngere Schwester noch einmal überlegen, denn der Mann habe beide Arme und ein Bein verloren.

Ich zwitscherte gerade einen Orangensaft, als mir die Dame weitere blutige Details beschrieb. Der blieb mir fast im Halse stecken. Die Dame war jedenfalls damals ziemlich verblüfft, daß die Schwester den Mann selbstverständlich heiratete. Die Dame: „Die beiden haben es ein paar Mal probiert und das ging schon.“ Dabei macht die Dame ein paar Reitbewegungen auf ihrem Stuhl und grinst. Jedenfalls hat der Mann später einen Job bei der Post bekommen und die Moral von der Geschichte: „Meine Schwester hat da eine tolle Partie gemacht! Die Pension und die Rente sind viel besser als das was ich bekomme!“

Eine interessante Begegnung. Ich habe beschlossen, den Wagen öfter reparieren zu lassen.

Die Dame im Caf

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